Mit beiden Beinen in der Materialzukunft

Mit beiden Beinen in der Materialzukunft
Welche Eigenschaften eine Schuhsohle idealerweise haben sollte, hängt vom Einsatzzweck des jeweiligen Schuhs und dem Wunsch des Anwenders ab. Der Einsatz im Alltag, beim Breitensport oder im Wettkampfsport hat verschiedene Anforderungen. Sehr universell jedoch ist die Forderung, dass sie in einem weiten Lastbereich eine konstante Federwirkung bietet – insbesondere im Bereich der Ferse, denn dort entstehen die höchsten Lasten beim Laufen, wenn der Schuh den Boden berührt. Diese Lastspitze muss bei jedem Schritt – beim Gehen und insbesondere beim Laufen – effektiv abgefangen werden. Schaumbasierte Sohlen, wie sie heute überwiegend in Schuhsohlen Verwendung finden, haben den Nachteil, dass sie bei höheren Belastungen stark komprimiert und dadurch „härter“ und weniger komfortabel empfunden werden.

Welche Eigenschaften eine Sohle idealerweise haben sollte, hängt vom Einsatzzweck des jeweiligen Schuhs ab. Der Einsatz im Alltag, beim Breitensport oder im Wettkampfsport hat verschiedene Anforderungen.
Christof Hübner, CPM
Sich dieses Problems anzunehmen ist das Ergebnis eines Austauschs zwischen 10 Mitarbeitern des Fraunhofer Cluster of Excellence „Programmierbare Materialien“ (CPM) und Mitarbeitern des renommierten Sportartikelherstellers Puma. Der Startpunkt der Zusammenarbeit wurde bei einem „Serendipity Day“ der Geschäftsstelle des smart3 e.V. gesetzt.
Nach eingehender Vorbereitung traf man sich also einen Tag lang bei Puma, um die Angebote und Möglichkeiten des CPM im Bereich Programmierbarer Materialien mit den Ideen und Wünschen der Herzogenauracher bezüglich verschiedener Use-Cases für Innovationen in Puma-Produkten abzugleichen.
Serendipity Day
Serendipität meint das ‚glückliche‘ Moment, in dem etwas entdeckt wird, das nicht explizit gesucht wurde. Genau diese Ergebnisoffenheit versucht das Format des „Serendipity Days“ zu nutzen. Es wurde bereits erfolgreich mit mehreren Firmen aus unterschiedlichen Branchen durchgeführt und steht weiterhin interessierten Firmen offen.
So soll bestehenden Produkten ein funktionaler Mehrwert gegeben, die bislang entwickelten Methoden des CPM im Anwendungskontext verbessert und das neue Materialkonzept der ProgMat beworben werden. Mit dem Anwendungsfall der Schuhsohle fand sich hierfür ein ideales Beispielprodukt, welches von praktisch jedem genutzt wird und dessen mechanische Eigenschaften haptisch erfahrbar sind. Mit ihm lässt sich nicht nur die Idee der ProgMat an potenzielle Anwender transportieren, sondern auch deutliche Verbesserungen einer neuartigen Sohle gegenüber herkömmlichen Modellen zeigen.
Infolge des Serendipity Days werden die Arbeiten zur Sohlenentwicklung im CPM nun von einem Mitarbeiter des Sportartikelherstellers Puma als Product Owner begleitet. Die Definition der zu erreichenden Sohleneigenschaften erfolgt in enger Abstimmung mit Puma, die Sohlenentwicklung erfolgt im CPM und Ergebnisse sollen später von Puma bezüglich Performance und Anwendbarkeit beurteilt werden. Momentan wird an unterschiedlichen Sohlenstrukturen gearbeitet, die in definierten Lastbereichen aktiv werden, sich so die zu tragende Last einander weitergeben und damit optimal abfedern können. Dadurch wird der Lastbereich, in dem die ProgMat des CPM eine als komfortabel empfundene Federwirkung entfalten können, ausgeweitet, was einen nennenswerten Vorteil gegenüber reinen Schaumsohlen darstellt. Die Strukturen des CPM werden aktuell mittels additiver Fertigungsmethoden wie zum Beispiel dem Fused Filament Fabrication (FFF) oder Tiefziehen hergestellt und hinsichtlich ihrer Funktion und ihren mechanischen Eigenschaften geprüft.
ProgMat bringt Algorithmen in Materialien
Was aber steckt hinter den sog. ProgMat und woraus speisen sich die Hoffnungen eine Lösung für das oben beschriebene Problem zu generieren? Grundlage hierfür ist, dass das CPM komplexe Funktionalitäten in Materialien bringt: durch die in ihre Materialstruktur hineinprogrammierten Algorithmen passt sich deren Verhalten in vorherbestimmter Weise an äußere Einflüsse an. Dadurch lassen sich generell z.B. Multimaterial-Lösungen vermeiden, was Kosten senkt und die Recyclingfähigkeit von Produkten steigert. Das Konzept der Programmierbaren Materialien erweitert den Gestaltungsspielraum von Materialien in bisher unbekannter Weise: Ein Bauteil kann so aus einem einzigen Werkstoff gestaltet werden, dass es an verschiedenen Stellen unterschiedliche Eigenschaften hat und diese zudem ändern kann. Je nachdem welche Belastungen auf das Bauteil einwirken, kann ein ProgMat „programmgemäß“ reagieren. Der Schlüssel dazu ist seine innere Struktur. Diese besteht – ähnlich wie beim natürlichen Material Holz – aus einer Vielzahl kleiner sich wiederholender Grundeinheiten, den Einheitszellen, die jeweils anwendungsgerecht konstruiert und dimensioniert werden.
Metamaterialien verfolgen einen ähnlichen Ansatz, insofern als dass auch diese aus Einheitszellen bestehen, um ihnen in der Natur nicht vorkommende Eigenschaften wie zum Beispiel eine negative Steifigkeit zu verleihen (die zur Deformation eines Materials benötigte Kraft wird bei zunehmender Deformation geringer) oder eine negative Querkontraktion. Im Unterschied zu Metamaterialien werden die Einheitszellen in ProgMat im Bauteilvolumen hinsichtlich ihrer Struktur variiert, was die Möglichkeiten zur Einstellung eines gewünschten Bauteilverhaltens enorm steigert.



Bilder links und mittig oben: Beispiel für ein Metamaterial: Infolge einer Längsdehnung wird die gedehnte Struktur breiter und nicht wie bei fast allen Materialien schmaler – es zeigt eine negative Querkontraktion. Bild rechts oben: Durch die Variation der Struktur der Einheitszellen im Materialvolumen reagiert das Material mit asymmetrischer Breitenänderung auf eine einachsige Druckbelastung.
Das neue Materialkonzept erfordert eine neue Denk- und Vorgehensweise bei der Entwicklung und Herstellung von Bauteilen, da sich ProgMat durch klassische Materialkennwerte nicht beschreiben lassen. Mit dem Softwarepaket „ProgMatCode“ wird im CPM ein neues Konstruktions-, Dimensionierungs- und Optimierungswerkzeug entwickelt, mit dessen Hilfe sich Einheitszellen entsprechend einem gewünschten Bauteilverhalten konstruieren und im Volumen des Bauteils anordnen lassen. Ferner wird an angepassten Herstellungsmethoden für einheitszellenbasierte Materialien und Bauteile aus metallischen und polymeren Werkstoffen gearbeitet, da sich klassische Herstellungsmethoden für diese in der Regel nicht eignen.


Bilder: ProgMatCode, das Tool zur Entwicklung und Optimierung von Einheitszellen und deren Verbünden.
Auf dem Weg zur Serienfertigung
Gegenwärtig ist das Grundprinzip der Wirkungsweise der zu verwendeten Einheitszellen für die Schuhsohle festgelegt. An ihrer optimalen Gestaltung hinsichtlich ihrer Funktion und ihrer Anordnung in der Mittelsohle sowie der Werkstoffauswahl wird gearbeitet. Sowohl die Werkstoffauswahl als auch die Gestaltung der Einheitszellen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Fähigkeiten der Sohle. Die beispielsweise beim Bodenkontakt in die Sohle eingetragene Energie kann bei der anschließenden Entlastung wieder freigesetzt werden, um eine möglichst ermüdungsarme Fortbewegung zu gewährleisten.

Um eine solche Schuhsohle aus ProgMat im Markt etablieren zu können, muss diese jedoch serientauglich produzierbar sein. Ein weiteres Ziel ist es daher, herkömmliche Produktionsverfahren für thermoplastische Kunststoffe, wie zum Beispiel Spritzgießen, zu verwenden. Dann könnten die Sohlen, die gemeinsam mit der Firma Puma entwickelt werden eine nutzbringende Innovation im Sportschuhbereich und darüber hinaus darstellen. Das Potential ist erkannt und die Forschungs- und Entwicklungsarbeit läuft ‚mit kraftvollem Schwung und gut gefedert‘.
Fraunhofer CPM
Zur Kontaktaufnahme mit dem CPM wenden Sie sich gerne an die Geschäftsstelle des Fraunhofer Cluster of Excellence Programmierbare Materialien.
Redaktion

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