Flexibler in die Zukunft mit NiTi-Legierungen

Flexibler in die Zukunft mit NiTi-Legierungen
Nickel-Titan-Legierungen (NiTi-Legierungen) und ihre beeindruckenden Eigenschaften, wie Formgedächtnislegierungs-Effekt (FGL) und Superelastizität (SE), bieten nahezu grenzenlose Möglichkeiten für Innovation. Woran liegt es, dass der technologische FGL-Fortschritt in unserer Gesellschaft seit dem Entdecken der ersten kommerzialisierbaren Legierungen in den 60er Jahren nur relativ langsam voranschreitet? Dafür gibt es viele Gründe. Wenn man sich in der Industrie umhört, stößt man immer wieder auf Vorbehalte gegenüber der Verwendung von FGL, hier sind ein paar Beispiele.
1) Know-how
Die vielen technischen Möglichkeiten, die das Material bietet, stellen Ingenieure auch vor neue Herausforderungen. Umformungstemperatur, Umformungsweg und -kraft, Elastizität können sensibel eingestellt werden – dies muss aber auch in der Produktion und Anwendung kontrolliert werden.
2) Kosten
Die verwendeten Materialien sind deutlich günstiger als Edelmetalle oder seltene Erden, aber dennoch meist teurer als strukturelle Legierungen aus Aluminium und Stahl.
3) Erfahrung
Unzureichende Qualität führt zu schlechtem Materialverhalten und frühem Bruch. Es dauerte lange, bis Qualitätsstandards erreicht wurden, welche Anwendungen wie medizinische Stents zuließen, die über Millionen Verformungszyklen höchstverlässlich aushalten müssen. Leider gibt es bei manchen potentiellen FGL-Anwendern Vorbehalte, weil sie noch Studien aus der Pionierzeit in Erinnerung haben, Erfahrung mit minderwertigen Billigimporten gemacht haben oder das Material einfach nicht gut genug kennen.
4) Quantität
Es gibt zu wenig Zulieferer am Markt, weshalb sich B2C-Firmen nur ungern von diesen Akteuren abhängig machen wollen.
5) Absatzmärkte
Große Metallverarbeitungsindustrien halten sich noch zurück, da der Markt bisher nicht die Dimension erreicht, bei welcher sie täglich Tonnen des Materials verkaufen könnten.
Gute Nachrichten für smarte Materialien
Dies klingt nach einer Menge Probleme. Keines scheint unlösbar, doch dafür muss sich die Industrielandschaft verändern. Große Metallkonzerne auf sich alleine gestellt, besitzen nicht die Flexibilität und Geschwindigkeit, um die bestehenden Schwierigkeiten anzugreifen. Gleichzeitig braucht es Erfolgsgeschichten, um die Größe des Marktes hinter den Anwendungen zu verstehen. Ein Risiko, welches die langen etablierten Firmen ungern anzugehen bereit sind.
Die gute Nachricht ist, es gibt Bewegung in der Industrielandschaft. Neue Startups drängen in den Markt und schlüpfen in innovative Nischen, innerhalb derer moderne Prozesse ganz neue Anwendungen zulassen. Diese Akteure treiben Innovation insbesondere dadurch voran, indem sie außerhalb standardisierter Abläufe und Materialien optimierte Legierungen entwerfen und verwenden. Damit werden sie für die Zukunft der Automobilindustrie, der Luft-und-Raumfahrt, der Medizintechnik, im Bauingenieurswesen, im Energiesektor, der Robotik und weiterer Bereiche eine wesentliche Rolle einnehmen.

Foto: BioActiveMetals S.r.l.

Foto: BioActiveMetals S.r.l.

Foto: BioActiveMetals S.r.l.
Die Fortschritte in der Schmelze und Verarbeitung ermöglichen es heutzutage, NiTi-Legierungen mit einer Reinheit herzustellen, die medizinischen Standards genügen und Ermüdungsanforderungen von millionenfacher Verformung standhalten. Zugleich eröffnet ein sehr reines Material Möglichkeiten in der Miniaturisierung, die in der Vergangenheit durch das Ermüdungsverhalten unerreichbar waren. Kleinere Komponenten sind sowohl für minimalinvasive Therapien erforderlich, als auch auf dem Feld der Sensorik und Aktorik und bieten neue Chancen durch das energieeffizientere, schnellere Verformen von einem Zustand in einen anderen. Eine schmale NiTi-Feder kann die Arbeit eines Motors platzsparend, geräuschlos, stromsparend und kraftvoll übernehmen.

nicht zuletzt dank der enormen Arbeit, die sie auf engstem Raum verrichten können. Foto: BioActiveMetals S.r.l.
Die wahre Stärke der Formgedächtnislegierungen liegt zudem in ihrer Designvielfalt und Anpassungsfähigkeit. Umwandlungstemperaturen und mechanische Eigenschaften können durch Zulegieren und Mikrostruktur-Engineering in einem weiten Spektrum an Anwendungsanforderungen angepasst werden. Hier können auch die Freiformkapazitäten der additiven Fertigung dem Material neue Anwendungsfelder eröffnen, zum Beispiel in Form von patientenangepassten Implantaten oder Bauteilen für Wärmepumpen, welche auf dem elastokalorischen Effekt beruhen und in Zukunft zur grünen Energiewende beitragen werden.
Wichtig für den weiteren industriellen Erfolg ist, dass die Industrie diese neuen Ansätze und Lösungen für sich entdeckt. Dafür bedarf es nicht nur der Hilfe der Materialforschung, sondern insbesondere mehr flexible Firmen, die mutig NiTi-Produkte entwerfen und ihre kommerzielle Umsetzbarkeit und Nachhaltigkeit beweisen. Zur Nachhaltigkeit gehört auch, sich mit dem ökologischen Fußabdruck der Technologie zu beschäftigen und für den Produktlebenszyklus Lösungen mit weniger aufwendigen Recyclingprozessen zu finden.

Jannis Nicolas Lemke
- Mitgründer BioActiveMetals
Alberto Coda
- Mitgründer BioActiveMetals
BioActiveMetals S.r.l. wurde Anfang 2024 in der Nähe von Mailand gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Etablierung funktionaler Materialien wie Formgedächtnislegierungen eigene Impulse zu setzen. Obwohl es ein junges Startup ist, kann auf über zwanzig Jahre Erfahrung in der Materialherstellung, Verarbeitung und Anwendung – sozusagen von der Schmelze bis zum fertigen Produkt – zurückgegriffen werden. Das Beherrschen der Herstellung von NiTi in den unterschiedlichsten Konfigurationen, egal ob Pulver für den 3D-Druck, Draht, Federn, Blech, Röhren, Dünn-Film oder komplexere Komponenten gehört zur Kernkompetenz. Gleichzeitig arbeitet die BioActiveMetals S.r.l. an Zukunftstechnologien wie Hoch-Temperatur-(HT)-Formgedächtnislösungen, welche sowohl leistungsfähig als auch kommerziell rentabel sind, weil sie sich anders als konventionelles NiTi für Aktuatoren im Umfeld von über 100°C einsetzen lassen.
Editorial team
