
Mit MFC unter der Haut
Fische verraten durch ihr Verhalten viel über den Zustand ihrer Umwelt – wenn man sie nur lange genug beobachten kann. Doch herkömmliche Lösungen stoßen schnell an Grenzen der Energieversorgung. Die Lösung liegt in innovativen Ansätzen, bei denen die Bewegung der Tiere selbst zur Energiequelle wird. Fortschrittliche Technologien auf Piezobasis ermöglichen es, energieautarke Generatoren zu entwickeln, die selbst kleinste Bewegungen der Fische in elektrische Energie umwandeln – und so die Fischverfolgung auf ein neues Niveau heben.
Warum wir uns für die Bewegung von Fischen interessieren
Wenn Fische sprechen könnten, würden sie vermutlich Forderungen nach Maßnahmen stellen, die ihre Existenz, ihre Lebensräume und das ökologische Gleichgewicht der Gewässer schützen. Da sie es nicht können, verbleibt ihnen nur dahin zu schwimmen, wo sie gesund leben und sich fortpflanzen können. Wohin die Fische schwimmen zeigt uns deshalb indirekt, wie sauber unsere Binnengewässer und Meere sind und ob sie frei zugänglich sind. Wenn wir also die Fische verfolgen, können Meeresbiologen und -ökologen, Limnologen (Binnengewässerökologen), Artenschützer und Fischereiwirtschaft wichtige Daten gewinnen.
So sind z.B. viele Fischarten durch Überfischung, Habitatverluste (z. B. durch Staudämme, Bau von Offshore-Windkraftanlagen), Verschmutzung von Ökosystemen oder Klimawandel bedroht. Tracking hilft kritische Lebensräume zu identifizieren (z.B. Laichgründe) und Schutzmaßnahmen zu optimieren.
Hightech unter Wasser
Fischverfolgung basiert auf Hightech-Lösungen. Eine verbreitete Methode ist die akustische Telemetrie. Hierbei werden Fische mit einem Sender ausgerüstet, der Ultraschallsignale mit individueller Codierung aussendet. Diese Ultraschallsignale werden von Hydrophonen erfasst und ermöglichen eine präzise Ortung der Fische in Echtzeit.

Das aktuell größte Problem ist die ausreichende Versorgung der Telemetriesender mit Energie über längere Zeiträume, d.h. über die Lebensdauer einer Mikrobatterie hinausgehend. Um dieses Problem zu lösen, hat das PNNL, eine Forschungseinrichtung des US–Energieministeriums (United States Department of Energy, DOE) verschiedene Varianten eines biomechanischen Energie-Harvesters gemeinsam mit Smart Material entwickelt und getestet.
MFC-Technologie – Innovation aus der Luft und Raumfahrt
Design und Realisierung der biomechanischen Energie-Harvester basieren auf der Macro Fiber Composit -Technologie (kurz: MFC) der Smart Material GmbH. Bei der ursprünglich von Ingenieuren der NASA entwickelten Technologie werden piezokeramische Wafer zersägt und die entstehenden rechteckigen Piezokeramikstäbchen zwischen Klebstoffschichten, Elektroden und Polyimidfolien eingebettet. Die Bruchanfälligkeit der Keramik wird dadurch kompensiert.
Multifunktionale Eigenschaften der MFC-Folie
Der MFC kann als dünne, oberflächenkonforme Folie auf verschiedene Strukturen aufgebracht (in der Regel aufgeklebt) oder in eine Verbundstruktur eingebettet werden. Bei elektrischer Ansteuerung funktioniert der MFC als Aktuator, der Materialien biegt oder verformt, Vibrationen entgegenwirkt oder Vibrationen erzeugt. Wenn er mechanisch belastet wird, kann der MFC als sehr empfindlicher Dehnungswandler dienen, welcher Kräfte, Verformungen, Geräusche und Vibrationen erfasst. Der MFC kann auch als ein leistungsfähiges Bauelement zur Gewinnung elektrischer Energie aus Vibrationen ausgelegt werden.
Varianten und Aufbau: Vom Standarddesign zum Bimorph-Wandler
Neben den Standarddesigns mit einlagiger Piezokeramikschicht fertig Smart Material auch komplexe Laminatstrukturen, z.B. Bimorph-Wandler, oder integriert elektronische Komponenten in die MFC. Ein entscheidendes Merkmal der MFC-Technologie ist die Anwendung kostengünstiger Herstellungsschritte, die Bauelemente mit einheitlichen und wiederholbaren elektromechanischen Eigenschaften liefern. Als piezoelektrische Wandlerwerkstoffe sind konventionelle Piezokeramiken des Systems Bleizirkonattitanat (typisch PZT 5H und 5A), einkristalline Ferroelektrika (z.B. PMN-PT) wie auch bleifreie Piezokeramiken (z.B. KNN) einsetzbar.
Energie aus Bewegung – MFC als kinetischer Energiewandler
Aufgrund seiner Flexibilität, Robustheit und umweltfreundlichen Verpackung eignet sich der MFC perfekt als kinetischer Energiewandler, insbesondere für nicht resonante Anwendungen. Dafür kann anwendungsabhängig speziell angepasstes Design realisiert werden.
Die Smart Material GmbH stellt Anwendern eine Reihe von Evaluierungskits, elektronischen Schaltkreisen und Komponenten für MFC-Generatoren zur Verfügung, um eine schnelle Prototypenerstellung und Anwendungsentwicklung zu unterstützen.
Prototypen für die Fischverfolgung im Realtest
Für die Fischverfolgung wird der biomechanische Energie-Harvester dem Tier unter die Haut implantiert, um dort mechanische Energie aus den Biegebewegungen der Fische in elektrische Energie umzuwandeln. Dafür muss er miniaturisiert ausgeführt und flexibel, d.h. möglichst dünn ausgelegt werden, genügend Energie für den Anwendungsbedarf wandeln und langzeitstabil arbeiten. Als Optimum hat sich für den MFC bisher ein Bimorph-Design erwiesen. Prototypen kompletter, energieautarker Unterwassersender wurden in natürlichen Umgebungen inzwischen erfolgreich getestet. Diese zeigten eine deutlich längere Lebensdauer als solche mit Batteriespeisung und konnten Daten weit über ein Jahr statt im Monatszeitraum sammeln. Dieser längere Überwachungszeitraum ermöglicht einen umfassenderen Überblick über das Verhalten der Fische und die Auswirkungen von Flusshindernissen auf Fische mit längeren Wandermustern wie Störe, Neunaugen und Aale.
Lab-on-a-Fish: Die Zukunft schwimmt bereits
Zukünftige Entwicklungen gehen weiter. Realisiert wurde eine prototypische „Lab-on-a-Fish“ Lösung, eine Art Biosensor, welcher gleichzeitig sehr unterschiedliche Daten über einen Fisch sammeln kann, einschließlich seines Standorts, seines Herzschlags, seiner Schwanzbewegung und seines Kalorienverbrauchs sowie der Temperatur, des Drucks und des Magnetfelds seiner Umgebung. Diese Informationen helfen Wissenschaftlern und Managern, die Auswirkungen schädlicher Einflüsse auf die Gesundheit der maritimen Ökosysteme zu verstehen und positive Management- und Erhaltungsstrategien zu entwickeln.
MFC – heute branchenübergreifend im Einsatz
Ursprünglich wurden die Macro Fiber Composite (MFC) zur Steuerung von Vibrationen und Verformungen in Hochleistungsstrukturen der Luft- und Raumfahrt entwickelt. Inzwischen ist eine Verbreitung in vielen Technologiefeldern erreicht.
Weitere Einsatzgebiete der MFC sind:
- Formkontrolle von Tragflächen, Spoilern, Rudern und weiteren CFK- und GFK-Strukturen
- Vibrationskontrolle in Luft- und Raumfahrt, Automobilbau, Produktionstechnologie, Gebäude- und Konsumgüter-Anwendungen
- Anti-Eis-System für unbemannte Flugobjekte
- Strukturelle Gesundheitsüberwachung SHM , u.a. passive und aktive akustische Spektroskopie, Transceiver für geführte Wellen
- Flexible Kraft- und Dehnmessstreifen für dynamische Änderungen
Fazit
MFC ermöglichen einen technologischen Weg zur Integration piezoelektrischer Werkstoffe in konventionelle Werkstoffverbunde. Sie erlauben zudem eine neue Generation hochfunktionaler Bauteile, Baugruppen sowie Technologielösungen für Sensoren, Aktuatoren und Generatoren.
Wie der Anwendungsfall eines implantierbaren Energie-Harvester in Fische zeigt, ist die MFC – Technologie außergewöhnlich flexibel und an vielfältige kundenspezifische Anwendungen anpassbar.
Das Aufladen von Batterien aus Verformungen ist ein essenzieller Schritt zur Realisierung energieautarker Mikrosysteme. Mit fortschreitender Integration elektronischer Schaltungen werden sie eine Schlüsselrolle für neue, innovative Anwendungen spielen.

Dr. Andreas Schönecker
- Advisor Smart Material GmbH
William "Bill" Esler
- Geschäftsführer Smart Material GmbH
Editorial team
