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Textil in Bewegung

Ein smartes Sonnenschutzsystem reagiert adaptiv auf die Sonne
Janis Rozkalns / Priedemann Facade Experts
Im Sommer 2022 realisierte Demonstrator-Fassade am Eco House der GU Tech University in Maskat, Oman.
Textil in Bewegung
Janis Rozkalns / Priedemann Facade Experts
Im Sommer 2022 realisierte Demonstrator-Fassade am Eco House der GU Tech University in Maskat, Oman.

Textil in Bewegung

Ein smartes Sonnenschutzsystem reagiert adaptiv auf die Sonne
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Ein smartes Sonnenschutzsystem reagiert adaptiv auf die Sonne

Klimatisierung ist eines der zentralen Themen, wenn es um die Zukunft des Bauens geht. Zum einen nimmt durch die globale Erwärmung die Nachfrage nach intelligenten Systemen zur Temperierung von Gebäuden stark zu, zum anderen ist gerade der Bausektor einer der Hauptverursacher des Energieverbrauchs weltweit – dies sowohl zur Herstellung von Gebäuden als auch für deren Betrieb mit zunehmenden Kühllasten. Hier setzt das innovative ADAPTEX Sonnenschutzkonzept an, dessen Wirkungsweise auf smarten Materialien beruht.

Das gleichnamige Forschungsprojekt wurde im Rahmen von smart3 von Hochschul- und Industriepartnern gemeinsam entwickelt. Das Ergebnis sind textilbasierte Fassadenelemente, die bereits als Prototypen für den Einsatz in der Praxis getestet wurden. Dieser Sonnenschutz wird vor großen Glasflächen angebracht und kann seinen Öffnungs- und damit auch Wirkungsgrad den aktuellen Klimaverhältnissen adaptiv anpassen. Eingearbeitet in die durchlässige Struktur sind Formgedächtnislegierungsdrähte (FGL-Drähte), die als Aktoren für die Verschattungselemente dienen.

FGL-Technologie im großen Maßstab

Der Mechanismus für ADAPTEX basiert auf textiler Logik: die FGL-Drähte werden als integral in die textile Flächenkonstruktion eingearbeitete „Fasern“ interpretiert. So wird ein ungewöhnlicher Maßstabsprung möglich, denn bislang kamen FGL-Drähte als Aktoren nur in objektgebundenen Anwendungen wie im Maschinenbau oder der Medizintechnik zum Einsatz. Das Projekt ADAPTEX übersetzt die Technologieanwendung in großmaßstäbliche Flächenelemente für die Verwendung in der Fassade. Interpretiert man die „smarten“ FGL-Drähte als Teil eines Textils, das von der Rolle in endlosen Längen hergestellt werden kann, lassen sich nun sogar haushohe Flächen mit der smarten Technologie aktivieren.

Prototypen ADAPTEX Wave und Mesh während der Entwicklungsphase. © Janis Rozkalns / Priedemann Facade Experts

Dabei kommt die Temperaturabhängigkeit des FGL-Materials dem Einsatz als Klimaelement entgegen. Die FGL-Drähte verkürzen sich im Zuge eines Temperaturanstiegs und entspannen sich wieder bei Abkühlung. Dieser Effekt wird für den Bewegungsmechanismus der Flächenstruktur genutzt. Nur wenn eine hohe Verschattung benötigt wird – tagsüber bei Sonneneinstrahlung und entsprechender Wärme – schließt sich die Fläche durch die steigenden Temperaturen. Fällt die Temperatur, öffnet sich die Fläche wieder selbstständig. Das Prinzip funktioniert ganz ohne externe Stromzufuhr: mit der Energie der Sonne vor ihrer Einwirkung zu schützen ist das Konzept. Es entsteht ein autarkes System, das ohne Stromverbrauch verschatten und das Klima modulieren kann. So wird im Vergleich zu herkömmlichen automatisierten Verschattungssystemen wie beispielsweise motorbetriebenen Jalousien, Energie im Betrieb eingespart. Die FGL-Drähte sind aufgrund ihrer Verschleißfreiheit, Langlebigkeit und Wartungsfreiheit sehr gut für Fassadenanwendungen geeignet.

Die FGL-Drähte sind aufgrund ihrer Verschleißfreiheit, Langlebigkeit und Wartungsfreiheit sehr gut für Fassadenanwendungen geeignet.

Als marktverfügbare Produkte sind sie in unterschiedlichen Konfigurationen und Stärken auf spezifische Aktivierungstemperaturen ausgelegt. Das ADAPTEX Sonnenschutzsystem lässt sich durch Integration der jeweils geeigneten FGL-Drähte für unterschiedliche Klimazonen auf einen bestimmten Temperaturbereich anpassen. Aber nicht nur durch die Außentemperatur, sondern auch durch einen einmaligen kurzen Stromimpuls lassen sich die Drähte aktivieren. So kann durch diese zusätzliche Bedienmöglichkeit der individuelle Nutzerkomfort erhöht werden. In Doppelfassadensysteme integriert, lassen sich mit dem System auch Sonnenschutzelemente herstellen, die problemlos in herkömmliche Bauabläufe und Konstruktionsarten integrierbar sind.

Adaptex im Einsatz unter realen Bedingungen

Das Interesse des Forschungsteams lag insbesondere auf der Entwicklung des autarken Betriebs, sowie auf der Gebäudenachrüstung, denn gerade die energetische Sanierung des Bestandes ist eines der drängendsten Themen im Bauwesen. Ein wichtiger Aspekt war dabei die Umsetzung einer 1:1 Demonstrator-Fassade, um das Konzept zu validieren und von der realen Umsetzung zu lernen. Als Demonstrationsstandort wurde ein Ort mit großen Klimaschwankungen zwischen Tag und Nacht gewählt: Maskat im Sultanat Oman. Im Sommer herrschen dort tagsüber über Wochen bis zu 40 Grad Hitze, nur in den Nachtstunden kühlt es ab.

Klimatisierung und Sonnenschutz sind ein allgegenwärtiges Thema, dem in den letzten Jahrzehnten meist durch herkömmliche Klimaanlagen mit hohem Energieverbrauch begegnet wurde, die zudem durch ihre Abwärme die Umgebung noch weiter aufheizen. Auf dem Campus der “German University of Technology” in Maskat befindet sich das Versuchsgebäude „Eco House“, an dem die Prototypen außenliegend angebracht und über den Zeitraum von einem Jahr getestet wurden. Der Aufbau erfolgte in einer gemeinsamen Montagewoche im August 2022 in Zusammenarbeit des ADAPTEX Forschungsteams mit Professoren und Mitarbeitern der Universität.  Aufgrund der hohen Tagestemperaturen konnten die Arbeiten ausschließlich in den Abend- und Nachtstunden durchgeführt werden.

Witterungsbeständig verbaute Sensorik zur Überwachung der Umgebungsbedingungen und Systemeigenschaften. © Priedemann Facade Experts

Witterungsbeständig verbaute Sensorik zur Überwachung der Umgebungsbedingungen und Systemeigenschaften.
© Priedemann Facade Experts

Extremer Witterung ausgesetzt

Im vorherrschenden Wüstenklima lag eine weitere Herausforderung für die Dauerhaftigkeit der Konstruktion, denn die außen an der Fassade angebrachten Elemente sind der freien Bewitterung ausgesetzt. Sonne, Wind, Sand und salzhaltige Luft, die von der rund 1 Kilometer entfernten Küste herüber weht, wirken auf die Flächen ein. Mittels cloudbasiertem Sensornetzwerk wurden die Umgebungsbedingungen, die Textilbewegungen und die Oberflächentemperaturen der Demonstratorfassade überwacht und online zur Auswertung an die Partner in Deutschland übertragen. Nach einjährigem Betrieb wurde der Konstruktionszustand überprüft und dokumentiert. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Material, Konstruktion und Aktorik haben der extremen Witterung und dem Gebrauch verlustfrei standgehalten.

Mehrfach ausgezeichnete Entwicklung

Nicht nur durch die technische Innovation, sondern auch durch die hochwertige Gestaltung besticht das Ergebnis. In der interdisziplinären Kooperation von Fassadenplanern, Materialspezialisten und Designern wurden zwei unterschiedliche Funktionsprinzipien entwickelt. Das System „Wave“ basiert auf einem Stahlseilnetz mit eingearbeiteten textilen Bändern aus Glasfasergewebe, die bei Aktivierung ihre Geometrie verformen und sich schließen. Das System „Mesh“ kombiniert hintereinanderliegende Glas- und Basaltfaserstrukturen, die durch Verschieben einer der Schichten unterschiedliche Öffnungsgrade ermöglichen. Diese Variante entpuppte sich bei den örtlichen Besuchern als ein „local hero“, denn sie erinnert an Muster der arabischen „Mashrabiya“ Fassadenelemente. Dies sind durchbrochene, offene Holzgitter, die in traditionellen Bauweisen als Sichtschutz, Verschattung und Belüftungselemente dienen.

Gemeinsam vom Prototypen zum Demonstrator

Gestaltung und Technologie wurden von Beginn des Projektes an gemeinsam entwickelt. So wird die Technik zum integralen Bestandteil des Designs bzw. das Design zum integralen Bestandteil der Technik. Der Entwicklungsprozess begann mit unzähligen experimentellen Design Prototypen, die im Laufe des Projektes immer weiter verfeinert und analysiert wurden. Dieser „Hands-On“ Prozess und die 1:1 Muster und Prototypen ermöglichten von Beginn an einen intensiven und kreativen Austausch der neun Partnerinstitutionen aus unterschiedlichen Disziplinen und Arbeitskulturen. Dass diese Art von interdisziplinärem Arbeiten Innovation befördert, zeigt sich auch in den Anerkennungen, die das Projekt international bekam, wie z.B. den „Award of Excellence 2022“ in der Kategorie Innovation des “Council on Tall Buildings and Urban Habitat CTBUH”, Chicago, oder dem „Spezial Preis für Innovation“ des Zumtobel Group Awards, 2022. In einem nächsten Schritt soll das Projekt nun weiter bis zur Marktreife entwickelt werden, damit diese Innovation auch bald konkret ihren Beitrag zur Bauwende liefern kann.

Ein Artikel von Christiane Sauer und Jens Böke
Prof. Dipl.-Ing. Christiane Sauer
  • Weißensee Kunsthochschule Berlin, Fachgebiet Textil- und Material Design
  • Forschungsbereich DXM – Design Experiment Material
Dr.-Ing. Jens Böke
  • Priedemann Fassadenberatung GmbH
  • Head of Research & Development
Team Adaptex
  • Dipl.-Des. Ebba Fransén Waldhör (Weißensee Kunsthochschule Berlin)
  • Dipl.-Ing. Maxie Schneider (Weißensee Kunsthochschule Berlin)
  • Dipl.-Ing. Paul-Rouven Denz (Priedemann Fassadenberatung GmbH)
  • Puttakhun Vongsingha, MSc. (Priedemann Fassadenberatung GmbH)
  • Natchai Suwannapruk, MSc. (Priedemann Fassadenberatung GmbH)
Forschungs- und Projektpartner
Fassadenplanung und Projektleitung: Priedemann Facade-Lab GmbH
Testgebäude für Fassadenmuster: German University of Technology in Oman (GUtech)
Stahlseilnetze: Carl Stahl ARC GmbH
Glasfasergewebe: Verseidag-Indutex GmbH
Glas- und Basaltfasergelege: i-Mesh (SL srl)
Textiltechnik: ITP GmbH
FGL Technologie: Fraunhofer IWU
Gefördert durch BMBF Zwanzig20 – im Forschungsnetzwerk smart³

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